Mit zunehmendem Abstand wird die Verklärung in der Erinnerung größer – Zeit es aufzuschreiben!
1972 war das Jahr, in dem die Mercedes-Benz AG die erste S-Klasse (W116) an den Start brachte. BMW hatte beispielsweise das sportliche 3.0 CSL-Leichtbau-Coupé am Markt, ein Traumauto mit 200 PS und 220 km/h Spitze. Auto des Jahres wurde ein Fiat 127 – ausgerechnet.
Das tangierte uns nicht, das war ganz und gar außerhalb unserer Beobachtung. Wir lasen und blätterten noch häufiger in der Guten Fahrt (GF), dem Magazin, in dem VW und zweitrangig Porsche stattfanden. Wir, das waren 1972 ein Nachbarjunge und bester Freund Josef (16) und ich (14). Die Autozeitung lag auch beim Nachbarn, wir waren zu dieser Zeit ein autofreier Haushalt.
Es ergab sich, dass im genannten Jahr im Nachbargarten ein Haus gebaut wurde. Josefs Vater verwandelte einen Teil des Nutzgartens in einen Bauplatz nebst einer langen Zufahrt. Für die Baustelle musste zunächst der Boden befestigt werden. Mit einer Walze? Besser! Der 1962er-Standard-Käfer sollte gelegentlich auf noch weicher Fläche hin- und herrollen. Das sollte indes für einen vorläufig festen Untergrund sorgen, so der Plan und gleichzeitig der Auftrag an den jüngsten Sohn – Josef. Ich war zum Glück Josefs Freund und konnte am Vergnügen teilhaben.
Eine ca. 70 Meter lange, neue zu planierende Einfahrt und obendrein noch die alte Hof-Zufahrt boten sich nun als Übungsstrecke für uns an. Hof, so wurde früher die übliche Fläche hinter dem Haus genannt. Terrasse? Gab’s nicht. Vorgarten, Haus, Hof, Kartoffeln & große Bohnen, Bleiche – das war die übliche Grundstücksgliederung in unserem Stadtviertel (Paderborn-Stadtheide).
Josefs Vater war ein kinderfreundlicher Nachbar, er ließ uns Kindern alle Freiheit und war gleichzeitig nachsichtig, wenn wir den Bogen einmal überspannten. Josef durfte den Käfer der Familie schon mit 13 oder 14 Jahren das erste Mal hinter dem Haus ausprobieren. 1972 war er demzufolge mit mehrjähriger Erfahrung ausgestattet und bestimmt der beste 16-jährige-Hof-Käfer-Fahrer weit und breit.
Oft war ich nach der Schule schon am frühen Nachmittag beim Nachbarn, nein, eigentlich immer. Von Sonntagen abgesehen, da mussten wir in die Kirche und der Tag nahm einen ganz anderen Verlauf, quälte sich Josef üblicherweise lange an den Schulhausaufgaben, die bei mir schnell bis bis gar …. ich meine, ganz schnell erledigt waren.
Wurde es ein Nachmittag mit Käferfahren, dann hatte sich das Warten auf Josefs Hausaufgabenerledigung ganz besonders gelohnt. Ich durfte schließlich eines Tages auch ans Steuer, den Sitz hatten wir an den Flügelschrauben unter dem Gestell gelöst und ganz nach vorn geschoben, die Lehne stand in der steilster Stellung. Josef war an diesem Tag schon 1 Stunde oder länger gefahren und hatte offensichtlich keine Lust mehr. Lust hatte er mir die Funktion und das sensible Spiel mit der Kupplung zu erklären. Josef erklärte präzise und begann die Sätze stets mit: „Pass mal auf ….“. Josefs Vater wusste von meinen Fahrversuchen vermutlich nichts, wenngleich, er hätte es wohlweislich unterstützt.
Der Jägerzaun, der den Hof von Kartoffeln & große Bohnen trennte und an unserer Fahrstrecke lag, litt gelegentlich durch das Touchieren der Stoßstange. Kein Problem! Jeder Vater hätte sofortiges Fahrverbot erteilt, wir hingegen hatten Glück, nicht einmal kann ich mich an eine ernsthafte Ermahnung aus dieser Zeit erinnern.
Meine ersten Versuche waren bescheiden, Anfänger eben, aber ich lernte jetzt das Autofahren! Hingegen zog Josef den grauen Standard schon bis in den 3. Gang, er schaltete zurück mit Zwischengas – EINDRUCKSVOLL. Die Nachmittage im Standardkäfer mit scharzem 3-Speichenlenkrad vergingen schnell. Wenn wir nicht fuhren, kam es vor, dass wir im Käfer saßen und die Betriebsanleitung lasen, die griffbereit im Handschuhfach lag. Wir versicherten uns gegenseitig, dass mit den ausführlichen Anweisungen in diesem Heft, das Volkswagen zum Käfer herausgab, doch wohl jede Einstellarbeit und bestimmt auch Reparatur ausführbar war. Ebenso redeten wir uns den Käfer in der nicht-Chrom-Standard-Ausführung schön (linierte Seitenstreifen, keine Zierleisten, grau lackierte Stoßstangen in Wagenfarbe): „viel besser als ein Export“, in dem wir freilich nicht saßen. Hätten wir im Export gesessen, wäre das Urteil auch klar gewesen. Radwechsel durften wir üben, Josefs Vater schnitt das Profil in den Diagonalreifen selber nach. Er hatte eine Maschine mit Glühdraht, die sich stinkend im Zick-Zack durch das Gummi fraß. Den Volkswagen-Wagenheber hielten wir z.B. für unschlagbar praktisch und mit der Hebeverklemmung geradezu genial konstruiert – das waren unsere Themen! Unerschütterlich von der Qualität aus Wolfsburg überzeugt, war Volkswagen zu dieser Zeit für uns der Maßstab, was uns die GF ja auch bestätigte.
So etwa 1-2 Jahre weiter sollte der Käfer zum Schrottplatz. Unwirtschaftlich die anstehende Reparatur, so das Urteil für PB-KD 43. Diagnose war ein angenommener Kolbenfresser, der beim Trennen von Motor und Karosserie sich aber als verklemmter Anlasser herausstellte und somit das Drehen des Motors verhinderte. Der Abgang war dennoch beschlossene Sache, die Karosserie hatte Durchrostungen, wenngleich der Motorschaden leicht zu beheben gewesen wäre. Ein Autoverwerter holte sich den Motor, als Nachbarjunge durfte ich die letzte Abschleppfahrt mit der noch rollenden Karosserie zur nahegelegenen Alteisenverwertung lenken. Josef bediente die Handbremse.